Wort des Bischofs zur Corona-Pandemie Mai 2020

Liebe Schwestern und Brüder!
 
Vor einigen Wochen, genauer gesagt Mitte März, habe ich mich an Sie gewandt, weil wir um der Sicherheit unserer Gesundheit willen und der Sorge um die alten, schwachen und kranken Menschen, die besonders gefährdet sind, strenge Maßnahmen ergreifen mussten. Dazu gehörte der schmerzliche Abschied von öffentlichen Gottesdiensten und die Schließung von Kirchen für die gemeinsamen Feiern des Betens und der Liturgie. Wir haben jetzt einen Punkt erreicht, den wir gewissermaßen als „Zwischenstadium“ bezeichnen können, so dass ich mich wieder an Sie wenden will. Ich habe eine ganze Reihe von Briefen, u. a. auch „Offenen Briefen“, erhalten, in denen die Entscheidung der Öffnung für die Gottesdienste kritisch betrachtet und konstruktiv begleitet wurde. Für all diese Briefe danke ich und sehe in meinem Wort an Sie meine Antwort für Sie alle.
 
Endlich ist es uns wieder möglich, von Angesicht zu Angesicht Gottesdienst zu feiern. „Nach mehreren Wochen der Heimatlosigkeit, ist es wieder schön, nach Hause kommen zu dürfen.“ - So wurde in der Allgemeinen Zeitung Coesfeld ein junger Mann zitiert, der am vergangenen Wochenende die Messe in Billerbeck besucht hat.
 
Auch wenn Christinnen und Christen, wie die Schrift sagt, „nicht von dieser Welt sind“1, sind wir doch gerne Teil dieser Gesellschaft und engagieren uns für das Wohl aller Menschen in Nah und Fern. Als Teil dieser Gesellschaft haben wir uns an den Maßnahmen der Corona-Prävention beteiligt und wollen dies auch in Zukunft tun. Wir bleiben in der Hoffnung, dass diese Pandemie in ihren Folgen für Leib und Leben nicht größer wird.
 
Mein erstes Wort richtet sich an die, die einen geliebten Menschen durch diese Krankheit ver-loren haben, deren Leben gezeichnet wurde oder deren Lebensgrundlage nicht sicher ist, weil ihnen Arbeitslosigkeit droht oder weil ihre wirtschaftliche Existenz bedroht oder zerstört ist. Ich möchte Ihnen mein Gebet versichern. Ich sehe uns als katholische Kirche auch in der Verantwortung, insbesondere für die da zu sein, die trotz mancher Hilfen nicht alle aus der Krise kommen. Hier werden wir das tun, was uns in dieser Zeit möglich ist.
 
Sodann möchte ich Ihnen sagen, was mich in diesen Tagen mit großem Dank erfüllt:
Zunächst einmal danke ich den vielen, die unsere Gesellschaft in solchen Zeiten zusammen-halten: den Pflegern und Ärztinnen, den Verkäuferinnen und Müllfahrern, den Beamten und Politikerinnen, den Lehrern und den Erzieherinnen sowie vielen anderen Menschen. Viele haben über ihre Kräfte hinaus gearbeitet und uns eine gute Perspektive eröffnet. Ich danke allen, die mutig Entscheidungen getroffen haben in dem Wissen, dass es zu erheblichen Konse-quenzen und auch zu lebensgefährlichen Situationen kommen könnte. Danke, auch wenn jetzt viele Stimmen auftreten, die es schon immer besser wussten. Ich danke auch den vielen Unter-nehmern und Arbeitgebern, die sich mit viel Engagement für ihre Angestellten einsetzen, damit niemand auf der Straße landet. Und ich danke den Müttern und Vätern – die Hauptlast liegt oft auf den Frauen und ich denke insbesondere an Alleinerziehende -, dass, trotz vielleicht mancher Situationen kurz vor dem Nervenzusammenbruch, doch auch in den meisten Familien die Herausforderungen der Krise bewältigt werden: Wie systemrelevant ist das, was Mütter und Väter in den Familien leisten!
 
Auch bin ich den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Seelsorge dankbar, die trotz der notwendigen Ferne Nähe zu den Menschen gesucht haben und Trost und Zuversicht aus dem Glauben verkündet haben. Vieles, was getan wurde, schien wenige Tage zuvor nicht einmal denkbar. Die Kreativität hat mich sehr gefreut. In einer Zeit der menschlichen Über-forderung haben viele Großartiges geleistet.
 
Ein weiterer Punkt erfüllt mich mit Dankbarkeit, aber auch mit Demut. Ich bin froh, in einem Land wie Deutschland zu leben: die Grundversorgung, die Gesundheitsversorgung und die Wahrung der Menschenwürde stand zu keiner Zeit in Gefahr. Diese Dankbarkeit darf uns nicht auf andere herabsehen lassen. Das, was wir haben, ist Gabe und Verpflichtung. Wir sind als Kirche, als Gesellschaft und als Nation gerufen, mit den anderen zu teilen: in Europa und darüber hinaus. Die Krankheit und die Gefahr sind nicht vorüber. Es ist die Zeit von klaren Erwägungen durch Wissenschaft und Politik. Beiden, der Wissenschaft und der Politik, möchte ich an dieser Stelle mein Vertrauen aussprechen. Vielleicht sind manche nicht mit allen Einzel-entscheidungen einverstanden, sicherlich wurden auch Fehler gemacht. Aber wie glücklich können wir uns schätzen, eine funktionierende Demokratie zu haben sowie eine Wissenschaft, die sagen darf, was ist, und nicht das, was die Politik für opportun hält. Gott sei Dank!
 
Aus dem Dank entspringt aber auch Verpflichtung, mein Wunsch für die Zukunft. Ein Impf-stoff, den die Wissenschaft hoffentlich bald findet, darf niemals durch Partikularinteressen ver-teilt werden. Keine Nation ist hier first, auch nicht das eigene Ich, sondern die, die es am dringendsten brauchen. In dieser Situation dürfen wir die nicht vergessen, die keine eigene Lobby haben: große Teile Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sind von unserer Solidarität abhängig. Aber nicht nur in der Ferne gilt dieses Wort. Unsere Verantwortung für den Nächsten nimmt uns auch für die Flüchtlinge weltweit und an unseren Grenzen in die Pflicht. Warum können wir nicht einfach großherzig sein? Viele Menschen stehen bereit, sich hier zu engagieren.
 
„Wir schaffen das!“ war ein Satz, mit dem viel Politik gemacht wurde. In einem Zeitungs-kommentar las ich vor kurzem: „Das Ironische an diesem Satz ist, dass er stimmt.“ Wir haben es geschafft. Nicht immer und überall, aber im Großen und Ganzen. Auch das, was uns nun herausfordert, können wir schaffen. Vieles von dem, was bis vor kurzem eingespielt und unverrückbar erschien, gilt nicht mehr. Der Soziologe Hartmut Rosa schreibt in der ZEIT zurecht: „Erst, wenn der routinierte, atemlose ‚Betrieb‘ ins Stocken gerät, öffnet sich ein Fenster für einen kollektiven Pfadwechsel.“ Ich bin überzeugt: Wir haben die Kraft, aus dieser Krise etwas Gutes, etwas Großes, etwas Neues zu schaffen. Wenden wir diese Krise, um etwas Neues hervorzubringen. Denken wir Zusammenleben und Miteinander neu!
 
Liebe Schwestern und Brüder! Ich möchte daran erinnern, wie kostbar das Geschenk der Gegenwart des Herrn in der Eucharistie ist. Er ist wirklich da. Die Eucharistie ist keine Spiritualität, die man auch anders leben könnte. Die Kirche empfängt sich wesentlich von ihr, von der Eucharistie, somit von Ihm, dem lebendigen Gott. Deshalb war es mir wichtig, so gut wie eben möglich stellvertretend mit den Priestern die Eucharistiefeier zu feiern und Ihn in unsere Mitte zu holen. Ebenso ist es mir jetzt ein Anliegen, diese so weit wie es diese besondere Situation zulässt, zu öffnen. Danke allen Haupt- und Ehrenamtlichen in den Pfarreien, die mit großer Umsicht und mit viel Verantwortungsgefühl dafür Sorge tragen, dass wir Gottesdienste wieder in Gemeinschaft feiern können.
 
Alles in allem bin ich der Meinung, dass die gesamte Entwicklung noch nicht erlaubt, sozusagen prophetisch zu reden. Was mag das alles für uns bedeuten? Was wird das für Konsequenzen für die Sozialgestalt unserer Gesellschaft haben? Was bedeutet das für die Wirtschaft? Was bedeutet das für die Kirche? Sicherlicht gebietet uns aber die Situation, alle in den Blick zu nehmen, niemanden liegen zu lassen.
 
Liebe Schwestern und Brüder! Ein Wort des Apostel Paulus kann uns in diesen Tagen leiten: „Freut euch in der Hoffnung, seid geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet!“2 Tragen wir weiterhin die vielen Anliegen unserer Familien, der Kirche und Gesellschaft, der Nachbarn und Freunde vor Gott. Ich tue das mit Ihnen gemeinsam.
 
Dazu wünsche ich Ihnen viel Kraft, Zuversicht und über allem Gottes Segen!
 
Ihr Bischof
Felix Genn